Morgens sieben Uhr. Ich war hell wach und packte meine Tasche. Die Nacht verlief super und ohne weitere Vorkommnisse. Aber ich musste nicht unbedingt länger als nötig hier bei Tobi bleiben. Kurz nach mir wachte er auf und kam aus seinem Schlafzimmer. Man merkte deutlich, dass er zunächst nicht wusste, wie er sich verhalten sollte und war etwas reserviert. Er sagte kurz und knapp “Guten Morgen” und verschwand daraufhin ins Badezimmer. Ich hingegen verhielt mich normal und schaute über das komische Ereignis von gestern Abend hinweg. Nochmal zurück auf Null, jeder hat eine zweite Chance verdient. Als Tobi dies merkte, kam wieder seine nette, freundliche Seite zum Vorschein und wir tranken noch einen Kaffe zusammen. Kurz darauf verabschiedete ich mich. Ich musste los und Tobi musste seinem Vater beim Umzug helfen. Es war das allererste Mal, dass ich ohne etwas zu frühstücken aus dem Haus ging. Nun ja, obwohl am Ende alles wieder in Ordnung war, hatte ich keine Lust dort zu frühstücken. Umso besser, dass das Einkaufszentrum nur ein paar Straßen weiter entfernt liegt. Dort ging ich erst einmal in den Supermarkt, holte mir ein paar Utensilien für ein Frühstück und Proviant. Dort wo ich gestern saß und meinen McCafe getrunken hatte, saß ich auch heute wieder und ließ mir mein überschaubares Frühstück, bestehend aus Ovomaltine, Salami, Käse und Baguette, in Ruhe schmecken. Währenddessen rief ich André an, um ihm die Geschichte von gestern Abend brühwarm zu erzählen. Ein wenig Klatsch und Tratsch am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen ?
Gestärkt und mit genügend Power konnte es nun in Richtung Grenze gehen, mit einem kurzen Zwischenstopp in der Genfer City. Wie alle anderen Großstädte war auch Genf mir zu rummelig, obwohl die Stadt ein paar schöne Ecken besitzt. Daher hielt ich mich garnicht lange dort auf. Auch die Leute schienen hier weniger nett zu sein. So kam es, dass ich auf der Post an einer Frau am Postschalter auskam, die wohl einen sehr schlechten Tag erwischt hatte. Meine Güte war die unfreundlich. Doch diese Unfreundlichkeit zog sich gefühlt durch die halbe Stadt, mit ein paar Ausnahmen. Sogar im Dom, wo ich mir den Stempel abholte, war das Personal richtig patzig. Gut, dass ich hier keinen Tag Pause einlege, wie ursprünglich geplant.
Bevor es zur Grenze ging, ließ ich mich im Dom kurz auf eine Bank nieder und schaute mir alles in Ruhe an. Dabei fiel mir insbesondere ein Junge auf, ca. 25 Jahre alt, der neben seinem Rucksack auch noch eine Gitarre mit sich herum schleppte. Das war außergewöhnlich. Das hatte ich bisher noch nicht gesehen. Er erinnerte mich ein wenig an David Garrett. Ich fragte mich, ob er wohl auch auf dem Jakobsweg ist? Wer weiß.
Kurz darauf ging es nun endlich in Richtung Grenze. Das Wetter war im Gegensatz zu gestern wieder richtig herrlich und die Sonne schien. Das ist doch mal ein gutes Zeichen für den Übergang ins Käseland, dachte ich. Zurvor führte ich jedoch noch ein wirklich nettes Gespräch mit einem Mann mittleren Alters names Laurent, der mir noch ein paar Tipps für Frankreich mit auf den Weg gab.
Kurz vor der Grenze wurde ich zunehnend nervöser, da ich mir nicht sicher war, ob ich, bedingt durch die aktuell steigenden Corona-Zahlen, überhaupt einreisen dürfte. Als ich die Grenze erreichte musste ich kurz auflachen. Jede Sorge war umsonst. Lediglich eine Wegsperre und ein paar Hinweisschilder visualisierten den Grenzübergang. Keine Kontrolle, nichts. Easy-Peasy. Mit einem Hops war ich in Frankreich. Richtig erfrischend war es jedoch leider nicht, da kurz hinter der Grenze viel Müll herum lag. Ein paar Meter hinter der Grenze lag einfach ein Ofen auf einem Grünstreifen. Zudem erschienen mir die Häuser sehr alt und verkommen. Ein kompletter Kontrast zur Schweiz. Ich wollte wieder zurück. Frankreich hatte ich mir irgendwie schöner vorgestellt. Doch im gleichen Moment dachte ich, immer optimistisch bleiben, es ist der Anfang. Es kann sich noch Einiges ergeben.
Ein paar Kilometer weiter kam ich bei meiner heutigen Herberge an. Mir öffnete ein netter älterer Herr die Tür, der etwas klapperig wirkte. Er entschuldigte sich und holte seine Frau, da sie sich primär um die Pilgerer kümmert. Die ersten Sätze auf Französisch verliefen ganz gut. Doch dann stockte es bei mir. Ich fragte meine Herbergsmutter, ob sie Englisch oder sogar Deutsch sprechen könne, doch leider Fehlanzeige. Beides konnte sie nicht. Na da lob ich mir doch die Technik. Schnell hatte ich mein Handy gezückt und wir unterhielten uns über Google Translate. Es war zwar etwas mühsam, aber es funktionierte. So setzten wir uns zunächst in die Küche, tranken einen Tee und aßen ihren vorzüglichen Apfelkuchen. ?Nebenbei erzählte sie mir von ihrer Familie und zeigte mir sogar ein paar Familienfotos. Gegen halb sechs, als meine Herbergsmutti mir gerade mein Zimmer zeigen wollte, kam ein junger Mann ins Haus herein. Ich war verwirrt. Einer ihrer Enkel war er nicht und auch kein Sohn von ihr, dafür war er zu jung. Der Unbekannte konnte allerdings Englisch und er erklärte mir, dass er unter der Woche hier bei den beiden wohnt, da er in Genf als Securitymann arbeitet. So schnell wie er im Haus war, war er auch schon wieder weg, um eine Runde joggen zu gehen. Derweil richtete ich mich oben im Zimmer ein und wollte eine schöne heiße Dusche nehmen. Ich schloss mich daher im Bad ein. Doch kurz bevor ich duschen gehen konnte, verquatschte ich mich noch mit meiner Vater am Telefon und belegte weiterhin das Bad. Irgendwann klopfte es an der Badezimmertüre. Der Unbekannte, der sich als Quentin vorstellte, wollte nach seiner sportlichen Aktivität nun auch endlich mal duschen, verständlich. ? Ich hatte noch keinen Tropfen Wasser gesehen, aber nun sollte Quentin zu erst mal duschen, bevor er noch länger warten musste.
Frisch geduscht ging es dann nach unten zum Dîner. Quentin kam ebenfalls dazu und erklärte sich glücklicherweise bereit den Übersetzer zu spielen. So lief es etwas flüssiger mit der Konversation. Als wir mit unserem typisch französischen 3-Gänge-Menü fertig waren, gingen Quentin und ich nach oben und unterhielten uns noch ein wenig. Beide standen wir im Türrahmen unserer Zimmer. Quentin erzählte mir, dass er vor seiner aktuellen Tätigkeit beim Militär war und regelmäßig ins Ausland nach Afghanistan, Irak, Iran etc. geschickt wurde. Mit dreizig möchte er jedoch nun langsam seine Familienplanung beginnen und das wäre mit den ständigen Auslandseinsätzen nicht möglich gewesen. Daher ist er ausgestiegen. Vollkommen verständlich und nachvollziehbar. Ich war interessiert und wollte wissen, was er beim Militär erlebt hatte. Daraufhin erzählte er mir all die schrecklichen Dinge, die er im Ausland erlebt hatte. Einfach unfassbar. Er war so alt wie ich und hatte bereits das Schlimmste miterlebt. Meine Probleme erschienen mir in dem Moment wie ein Witz. Oftmals bedeuten die eigenen Probleme die Welt, aber diese schlimmen Dinge vor Augen geführt zu bekommen, zeigen einem was wirkliche Probleme sind. In diesem Moment wurde mir bewusst wie reich ich doch bin, denn ich lebe im Paradies und darf mich hier sicher fühlen.
Das ist leider so, dass die wenigsten Menschen das große Glück haben seit 75 Jahren in Frieden zu leben.
Jedoch solche Begegnungen, wie Du sie machst, führen das vor Augen.
Für Deine Frankreichetappen wünsche ich Dir Menschen, die Dir freundlich entgegenkommen und Dich herzlich aufnehmen.