Tag 76: Exkurs im Spinnen

Als mir einige Leute vor und während meine Reise erzählten, dass ein “petit dejeuner”, ein kleine Frühstück, in Frankreich wirklich so petit ist, hatte ich darüber hinweg gelacht. Das konnte und wollte ich mir nicht vorstellen. Ein schönes leckeres und ausgiebiges Frühstück, ohne das kann ein Tag doch nicht gut beginnen?! Als ich heute morgen in die Küche hinein schluffte, wurde ich jedoch eines besseren belehrt. Meine Güte war das Frühstück petit. Als ich meiner Herbergsmutter einen Guten Morgen wünschte, schluckte ich meine riesige Enttäuschung hinunter. Ich nahm am Tisch platz. Vor mir lagen vier kleine Weißbrotscheiben ( ähnlich wie Zwieback). Die waren noch nicht mal so groß wie meine Handfläche. Dazu ein klecks Marmelade, Butter und das war’s. Ach ja und noch eine Tasse Kaffe. Ich war schockiert und fragte mich, wie ich nur den Tag überstehen sollte. Nur gut, dass ich in der Schweiz noch etwas Proviant eingekauft hatte.

Mit jeweils einem Haps waren die vier Scheiben umgehend verschwunden. Da war das Frühstück schneller vorbei als gedacht. Dafür ging es umso schneller auf den Weg, nach der sehr herzlichen Verabschiedung. Als ich den ersten Fuß hinaus setzte, begrüßte mich eine sehr kühle Briese. Uhh, jetzt war definitiv der Winter eingekehrt. Irgendwie stimmte mich dies traurig, wo war der goldene Herbst?

Zunächst führte mich der Weg steil Bergauf. Es war zwar anstrengend, dies hatte jedoch den Effekt, dass mein kleines inneres Atomkraftwerk anfing zu arbeiten und meinen gesamten Körper aufheizte. Die Temperatur von rund 9° wurden dadurch wesentlich erträglicher. Des weiteren bot sich von dort oben ein unfassbar toller Blick auf die Berge und das klitzekleine Genf, welches bereits ein paar Kilometer hinter mir lag. Ein Stück weiter wurde es dann richtig mystisch. Auf rund 700 Höhenmetern hülten die Wolken die kleinen Dörfer in eine Art Nebel, der eine ganz besondere Atmosphäre schaffte. Einfach einzigartig und faszinierend. So hat jede Jahreszeit doch ihren ganz besonderen Flair.

Im Laufe des Tages klarte der Himmel zunehmend auf und die Sonne zeigte sich wieder in ihrer vollen Pracht. Ich war gerade mal rund zwei Stunden unterwegs, da meldete sich mein Magen. Nach dem stetigen auf und ab und natürlich durch das magere Frühstück brauchte er unbedingt etwas zu essen. Bei der nächsten Gelegenheit machte ich daher eine kleine Pause. Ich setzte mich in einem Dorf, was lediglich aus einer Straße bestand, neben den Dorfbrunnen auf einen kleinen Treppenvorsprung, packte mein Stück Käse, etwas Wurst und ein paar Kräker aus und  begann mit meinem zweiten “grand” Frühstück. Währenddessen versuchte ich mit meinem gebrochen französisch Unterkünfte zu reservieren, was so semigut funktionierte. Plötzlich kam ein Pilgerer an mir vorbei. Moment, das war doch der David Garrett Verschnitt, den ich gestern im Genfer Dom gesehen hatte, der seine Gitarre mit sich herum schleppt. Wir grüßten uns kurz und dann ging er auch schon weiter. Er machte einen eher schüchternen und introvertierten Eindruck. Mhh, etwas speziell der junge Mann. Kurze Zeit danach, fragte mich ein älterer Herr, der im gegenüberliegenden Haus wohnte, was ich denn da essen würde. Ich antwortete ihm mein lieblingswort “Fromage”. Daraufhin bot er mir an, dass er mir dazu eine Tasse Kaffe spendieren könnte. Ich dankte ihm von Herzen, doch allzu lange wollte ich hier nicht mehr verweilen und lehnte daher ab. Das Vorurteil, dass die Franzosen nicht Gastfreundschaftlich sind, konnte ich nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil. ?

Rund eine Stunde war ich wieder auf dem Weg, als ich den David Garrett Verschnitt ein holte. An einer Kreuzung waren wir dann gleich auf. Er ging rechts und ich ging links. Mhh, dann war er wohl doch nicht auf dem Jakobsweg, dachte ich mir, wenn er nun einen anderen Weg geht. Wir unterhielten uns nicht, da er Kopfhörer in den Ohren hatte und mir nicht so wirklich zum reden zu Mute war. Wir grüßten uns aber wieder kurz und so gingen unsere Wege wieder auseinander.

Bei bestem Wetter erreichte ich Frangy. Ein knuffiges kleines Dorf, welches eine wunderschöne Fassadenmalerei direkt gegenüber der Kirche hat. Extra auf die Pilgerer abgestimmt. Zauberhaft. Ich holte mir meinen Pilgerstempel in Office du Tourisme und genoss die letzten Sonnenstrahlen, während ich auf Anneliese wartete. Anneliese ist eine wundervolle und liebenswerte Wittwe Ende 50zig, bei der ich meine erste Couchsurfingnacht hier in Frankreich verbringen darf. Gemeinsam mit ihrem Hund Bengi holte sie mich ab und wir fuhren zu ihrem Anwesen. Das lag rund sieben Kilometer entfernt im Nachbardorf. Sie besaß ein älteres Häuschen, welches von innen sehr gemütlich eingerichtet ist.

Später am Abend zauberte Anneliese uns etwas richtig leckeres zu essen, dazu gab es einen französischen Wein. Ohh, wie herrlich. Ich freute mich sehr, da es mein allererster Wein war, den ich in Frankreich trank. Anneliese war so herzlich, dass ich mich richtig wohlfühlte bei ihr. Es war ein sehr schöner Abend und auch sehr lehrreich, denn sie liebt als rund ums Stricken, Spinnen, Häckeln und was sonst noch so mit Stoffen zu tun hat. Vom Schaafe scheren bis hin zum fertigen Kleidungsstück, erklärte sie mir den gesamten aufwendigen Prozess. Ich dürfte sogar auch einiges ausprobieren. Da fragt man sich doch wirklich, wie ein Preis eines T-Shirts von 10 Euro zu Stande kommt. Auch Twister, ihre Katze, liebte die Wolle und die selbstgemachten Kleidungsstücke und versuchte unauffällig damit zu spielen ? Bengi versuchte parallel dazu immer ein paar Streicheleinheiten zu erhalten, die er stets von mir bekam. Am liebsten hätte ich den kleinen auf meine Reise mitgenommen. ? Doch dann wurde es allmählich Zeit den dreien gute Nacht zu sagen. Mit einem wohligwarmen und gut behüteten Gefühl kuschelte ich mich ins Bett und genoss den  Schlaf.

Eine Antwort auf „Tag 76: Exkurs im Spinnen“

  1. Positive Begegnungen mit Menschen können gleich eine “ganze Nation” in einem anderen Licht erscheinen lassen.
    “Minimalistisches Frühstück” – dafür hoffentlich abends fürstlich tafeln.
    Weiterhin tolle Eindrücke auf Deinem Pilgerweg.

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