Als der Wecker klingelte und ich den ersten Blick aus meinem Fenster wagte, machte das Wetter einen vielversprechenden Eindruck, es war leicht bewölkt aber trocken. Laut Google sollte es glücklicherweise auch so bleiben, allerdings mit ein paar kleinen Regenabschnitten. Na dann lasse ich mich doch mal überraschen, dachte ich und hoffte genau auf die Wolkenabschnitte zu treffen, die keine Ladung Regen mit sich trugen. Doch bevor ich mein Glück wage wollte, begab ich mich nach unten in den liebevoll und gemütlich dekorierten Speise-/Wohnsaal. Als ich ankam hielt ich kurz inne, blieb stehen und musste den reichgedeckten Frühstückstisch erst einmal auf mich wirken lassen. Irgendwie schoss mir spontan die Geschichte vom „Tischlein deck dich“ in meinen Kopf und spinnte weiter, wie toll es doch wäre ein solches Tischchen beim Wandern dabei zu haben 😀 Es gab alles was das Herz begehrte, selbstgemachte Marmeladen, ein Muffin, Joghurt und vieles mehr. Ich war so dankbar, dass meine Herbergsmutter eine Niederländerin ist und eine ähnliche Frühstückkultur pflegt, wie daheim. Ein Täumchen. Meine Herbergsmutter begrüßte mich aus der offenen Küche, die direkt am Speise-/Wohnsaal angrenzte, und bereitete gerade noch eben den Kaffee zu. Neben dem üppig gedeckten Tisch hatte meine Herbergsmutter mir meinen Regenponscho dazugelegt, welchen sie zum Trocknen extra unten aufgehangen hatte. Zudem lag für mich auch ein Vollkornbaguette mit extra Rosinen als Proviant bereit. Als ich auf dem Stuhl von gestern Platz nahm, kam auch schon meine Herbergsmutter mit dem Kaffee und erwähnte, dass Sie mir das Baguette mit den extra Rosinen als Proviant schenken möchte. Ich war überglücklich und dankte ihr von ganzem Herzen. Wir unterhielten uns noch ein wenig, während ich langsam zu essen anfing. Ein Gefühl von Geborgenheit und Freude machte sich breit und so genoss ich in vollen Zügen, dass mit Liebe hergerichtete Frühstück, wobei ich von den Marmeladen nicht genug bekommen konnte.
Noch schnell packte ich den Regenponscho und das Baguette in den Rucksack und schon konnte es wieder los gehen. Ich verabschiedete mich von meiner liebevollen Herbergsmutter, welche sich ein drittes Mal versicherte, ob sie mich nicht doch nach St.-Jeures mit dem Auto kurz bringen sollte. Ich freute mich über das Angebot und dankte ihr, aber lehnte dennoch ab. Heute wollte ich die fünf Kilometer unbedingt schaffen und natürlich die schöne Landschaft genießen. Heute verließ ich mich nicht auf Google sondern auf die detaillierte Wegbeschreibung von meiner Herbergsmutter. Es sah ganz einfach aus, eigentlich nur gerade aus bis auf zwei kleine Abbiegungen. Warum war das dann gestern so schwer, dachte ich und musste innerlich über mich selbst lachen. Dann mal los.
Das nächstgrößere Etappen Ziel Le-Puy-en-Valley steht nun kurz vor der Tür. Ich freute mich bereits riesig die Pilgerhochburg übermorgen zu erreichen. Zwischen mir und Le-Puy-en-Velley lag jedoch noch das Dörfchen „St.-Julian-Chapteuil“. Für heute hatte ich eine private Pilgerunterkunft in dem Dörfchen bei einem älteren Ehepaar reservieren könnten und war schon ganz gespannt, wie das wohl mit dem Französisch diesmal klappen würde. ?
Das Wetter blieb trocken und nachdem ich eine riesige Pfütze auf dem Weg glücklicherweise weitestgehend trocken gemeistert hatte, kam ich am PickNick-Häuschen an, an dem ich gestern mit Urs eine wunderbare Zeit verbringen durfte. Die Erinnerung daran zauberte mir direkt ein breites Lächeln auf die Wangen und ich hoffte, dass Urs den Weg bis zu seiner Unterkunft gestern gut überstanden hatte. Ab der PickNick-Hütte musste ich mir mit jedem Schritt vorstellen wie unangenehm es gestern wohl für Urs gewesen sein musste die 10 Kilometer bis zu seiner Unterkunft bei der Kälte zu laufen. Es ging bis auf rund 1200 Höhenmeter hoch, dem höchsten Punkt der Etappe und langsam wurde es wieder kühler. Kurz vor dem Etappenhöhepunkt begann es zu hageln. Na super, dachte ich mir und stellte mich ganz dicht an einen Baumstamm, hüllte mich wieder in meinen Regenponscho und wagte es, nachdem der Hagel etwas nachgelassen hatte, weiterzulaufen. In einem inneren Dialog mit mir, beschloss ich, dass es nicht mehr so weiter gehen konnte. Meine Hände und Füße fühlten sich wieder wie Eiszapfen an. Es musste bessere Kleidung her, sofern ich heile in Santiago ankommen möchte. Sobald ich Le Puy-en-Velay erreiche geht es sofort nach Decatlon. Dort gibt es wohl sehr gute und günstige Sportklamotten, den Tipp gab mir meine Herbersmutter heute Morgen beiläufig im Gespräch. Ich brauchte eine dickere Jacke und Hose, auch wenn das Gewicht meines Gepäcks dadurch zunahm. Das nehme ich in Kauf. Was ich brauche, brauche ich halt und wird mitgeschleppt 😀
Als der Hagel sich verabschiedete begrüßte mich der Nebel. Meinen Regenponscho brauchte ich für die kleinen Wassertropfen nicht mehr und packte ihn wieder ein. Als ich ein Stück des Wegs weiter hinter mich geberacht hatte und ich in Gedanken versunken war, merkte ich plötzlich irgendwas an der Hinterseite meiner Wade. Ich ging ich davon aus, dass irgendwas von meinem Rucksack baumelte musste und folglich meine Wade berührt hatte. Aus Neugier schaute ich mich dennoch um und erstarrte. Hinter mir stand plötzlich ein Schäferhund. Dieser musste von dem Anwesen sein, welches als einziges hier im Umkreis ein paar Meter entfernt zu sehen war. Der Hund musste mich versehentlich mit seiner Nase angestupst haben. Als er mir in die Augen sah fletschte er die Zähne und fing an zu bellen. Ich versuchte zunächst den Hund zu ignorieren, drehte mich um und lief weiter. Doch er kläffte weiter und folgte mir. Er ließ nicht ab und so drehte ich mich wieder zu ihm um und zückte Pilli, damit wollte ich ihn auf Distanz halten und dachte zu gleich, dass ich ihn damit einschüchtern könnte. Das war jedoch keine so gute Idee, da er dadurch noch aggressiver wurde. Als es mir zu heikel wurde und ich es nicht riskieren wollte gebissen zu werden, holte ich das jute Pfefferspray heraus, welches mein Vater mir für meine Reise geschenkt hatte. In Ruhe schaute ich wo sich die Öffnung befand, da ich (als bekannter Tollpatsch) es nicht riskieren wollte mich selbst außer Gefecht zu setzten 😀 Der Wind stand glücklicherweise auch günszig, sodass ich nur einmal kurz in die Luft sprühen musste und der Duft direkt zu der Bestie getragen wurde. Natürlich habe ich ihm nicht ins Gesicht gesprüht, das wollte ich ihm nicht antun. Nur eine kleine Wolke die Ihn fernhalten sollte. Er schnupperte sofort das Spray. Der Schäferhund machte umgehend einen Satz zurück und entschied zurück zum Anwesen zu laufen. Nochmal Glück gehabt.
Am höchsten Punkt angekommen, sah ich nichts außer Nebel. Echt schade, denn ich hatte auf eine wundervolle Aussicht gehofft, leider vergebens. Als es allerdings wieder hinab ging verschwand der Nebel allmählich, die Wolkendecke bekam Risse und ließ die Sonne wieder scheinen. Herrlich. Nicht nur das Wetter, sondern auch der Ausblick auf die Landschaft wurde immer besser. Ein Stück weiter schweifte mein Blick irgendwann über eine hügelige grüne Landschaft, die bis weit in die Ferne reichte. Wow, kam es einfach nur aus mir heraus. Das malerische Bild musste ich erst einmal auf mich wirken lassen, doch nicht zu lange, denn kalt war es immer noch ?
Nach einer kurzen Besichtigung des kleinen Dörfchens St.-Jeures schlenderte ich ganz entspannt zu meiner heutigen Unterkunft. Mich begrüßte ein zuckersüßer und lieber Golden Redriever der sich genüsslich von mir kraulen ließ und begleitete mich vom Zaun bis zur Haustüre, wo ich auf meine Herbergsmutter und Pierre traf. Zunächst bin ich davon ausgegangen, dass Pierre der Sohn von meiner Herbergsmutter ist, doch es stellte sich schnell heraus, dass er auch auf dem Jakobsweg unterwegs ist. Wie schön, ich freute mich riesig einen weiteren Pilgerer kennenzulernen. Pierre konnte zum Glück auch hervorragend englisch sprechen, sodass wir uns super unterhalten konnten und er mir beim wundervollen Abendessen mit unseren Herbergseltern alles übersetzten konnte. Den Abend haben wir alle vier gemeinsam gemütlich bei einem sehr schmackhaften typischen französischen Abendessen ausklingen lassen und haben dabei viel gelacht. Pierre und ich erhielten einige Informationen und Tipps zu Le Puy-en-Velay (wo wir unsere Schuhe am besten Besohlen lassen können, es leckeres Essen gibt und und und). Dadurch wuchs die Vorfreude auf das große Etappenziel noch mehr. Ich konnte es kaum erwarten. Schnell noch ein paar Fotos von der Stadtkarte von Le Puy-en-Velay und den vielen Informationsmaterialien gemacht und dann ging es auch schon wieder für uns eine Etage hinab in unsere Schlafgemächer. Nur noch eine Nacht und dann war es endlich soweit, Le Puy-en-Velay ich komme!
Nochmal ein kleines Video, vom Etappenhöhepunkt 1.200 Meter. 🙂 Der Gruß ging an die Famlie.