Tag 12: Ich bin verliebt

Meine Füße fühlten sich gut an, als ich am nächsten Morgen die ersten Schritte bis zum Badezimmer lief. Keine Schmerzen, einfach nur wunderbar. Ich hoffte innigst, dass sich dies nicht noch bei der bervorstehnden Wanderung ändern würde. Heute ging es von Rhens nach Bad Salzig. Laut Pilgerguide waren auch wieder ein paar schöne Höhenunterschiede mit dabei. Ich freute mich darüber, denn dies bedeute Aktion und Spaß, doch mit meinen Blasen war ich mir nicht so sicher, ob die darauf Lust hatten. Naja mal sehen.

Langsam ging ich los. Kurz nachdem ich meine Unterkunft verlassen hatte, ging es direkt ein Stück den Berg hoch. Soweit so gut, keine klagenden Balsen.
Ich setzte meine Tour weiter fort und kam schon bald, nachdem ich weitere Höhenmeter erklommen hatte, in einem wundervollen Waldstück an. Es war Sonntagmorgens und es war keine Menschenseele weit und breit zu sehen oder zu hören, nur das Zwitschern der Vögel und das Rauschen der Bäume. Entspannung pur.
An der nächsten Gabelung, an der es danach noch ein gutes Stück weiter hoch gehen sollte, bemerkte ich einen Mann mit Sonnenbrille (geschätztes Alter ca. 35), der im Business Outfit (blaues Sako, helrosefarbende Stoff Hose und noble braune Stoffschuhe) von links kam. Es war Wochenende, wir befanden uns mitten im Wald und hier gab es nur eine schlechte Internetverbindung. Arbeiten konnte er hier vergessen. Es war schon ein richtiger Exot und ich überlegte die ganze Zeit, was er hier nur wollte. Er ging denselben Weg wie ich, war aber natürlich deutlich schneller unterwegs, trotz der nicht passenden Wanderschuhe, und irgendwann war er verschwunden bzw. konnte ich ihn nicht mehr sehen. Plötzlich fiel mir ein, dass es hier in der Gegend laut Karte ein Hotel gibt. Hoffentlich hatte er genügend Blasenpflaster eingesteckt oder womöglich schon eine Fußmassage im Spa-Bereich reserviert.

Bald erreichte ich den Aussichtspunkt “Vierseeneck”, an dem auch ein Restaurant gelegen war. Die Aussicht von dort hoch oben war unfassbar schön und ich konnte nicht genug Erinnerungbilder von diesem besonderen Aussichtpunkt machen. Was für eine Aussicht. Das Wetter war wieder super und das wollten auch noch viele weitere Familien, Paare und Freunde ausnutzen. So war es unheimlich voll und überlaufen. Den Augenblick auf einer Bank zu genießen war daher leider nicht möglich. Schade, aber so ging es dann für mich nach unten in die romantische Stadt Boppard. Der Abstieg war eine kleine Herausforderung. Ab und zu kam es mir so vor als wäre ich bereits in der Schweiz angekommen, da die Route starke alpine Verhältnisse hatte. Das war nicht für Jedermann/-frau. Für die Gemütlichen gab es daher die Seilbahn, die direkt über der Wanderroute verlief. Sofern es der Weg zuließ schaute ich hin und wieder mal hoch. Freudig winkten und grüßten die Fahrgäste von oben herab. Manchmal fühlte ich mich wie auf einem außergewöhnlichen Catwalk. ? Auf halber Strecke machte ich dann kurz Rast in einer Schutzhütte, wo der Weg hindurchführte. Von dort aus konnte ich die Aussicht ein paar Minuten genießen, denn kurz darauf kam ich mit einer Großfamilie, ca. 10 Personen ins Gespräch. Wir lachten, machten Witze und tauschten uns über meine bisherigen und weiteren Reisepläne aus. Eine tolle und ehrliche Familie, die ich auch sehr gerne in Erinnerung behalten werde. Wir verabschiedeten uns und kurz darauf schnallte ich meine 7 Sachen auf meinen Rücken und ging weiter. Als ich dann noch einen Blick zur Seilbahn warf, sah ich doch glatt den Business-Mann von heute morgen. Nun wusste ich was er hier gemacht hatte. Er fuhr Seilbahn und ganz bestimmt hatte er die Aussicht vom Restaurant aus mit einem Glas Sekt genossen. ? Das war ja ein Zufall.

Kurz bevor ich unten in Boppard ankommen sollte, braute sich eine große, dicke, dunkelgraue Wolke zusammen. Die ersten Wassertropfen spürte ich bereits auf meiner nassgeschwitzten Haut. Mit nur wenigen Handgriffen hatte ich mir mein Regen-Cape geschnappt und fix drübergezogen. Es dauerte noch rund 5 Minuten bis der Regen losprasselte, aber dann ging es richtig los. Es ging so schnell los, dass ich kaum Zeit hatte einen passenden Unterschlupf an der Rheinpromenade zu finden. Schnell huschte ich daher unter den nächst gelegenen Baum und drückte mich ganz fest an den Baumstamm, um so wenig wie nur möglich vom Regen abzubekommen. Das Cape hielt das Wasser zwar gut ab, aber an einigen Stellen, dort wo es stramm saß,merkte ich, dass es schon etwas Regen durch kam. Na super. Der Verkäufer meinte, da würd Nichts durchgehen. Das stimmte wohl nicht ganz. Nach rund 15 Minuten hörte es dann nun endlich auf. Wurde auch mal Zeit. Direkt kam dieSonne wieder raus und ich konnte meine letzten Kilometer bis nach Bad Salzig fortführen. Am liebsten wäre ich an dem Abend in Boppard geblieben. Die Stadt ist so zauberhaft mit ihren kleinen Fachwerkhäusern, Lädchen, Hotels und Restaurants direkt am Rhein. Ich war verliebt. Auf meiner Bucketlist notierte ich mir unmittelbar “ein Wochenende in Boppard verbringen”. Ich komme wieder, das war sicher.
Nach ein paar Kilometern kam ich dann im Hostel von Bad Salzig an. Ich checkte ein, und wurde überrascht. Nicht das ich das Vier-Bett-Zimmer für mich alleine hatte, nein. Ich bekam ein kostenfreies Bus-/Zugticket für die Länge meines Aufenthaltes zur Verfügung gestellt. Klasse! Je nachdem, wie es meinen Blasen am nächsten Morgen gehen sollte, konnte ich entscheiden, ob ich das Ticket nutzte.
Schnell ging ich mir noch was zu essen in der hiesigen Bäckerei und meinen wohlverdienten Stempel für mein Heftchen holen. Urplötzlich kam ich auf die Idee, ich könnte doch nochmal nach Boppard fahren. Mit dem kostenlosen Ticket hatte ich ja num die Möglichkeit. Gesagt getan. Ich suchte mir die nächste Verbindung raus und fuhr los. Das ich so schnell wieder dort hinkomme, hätte ich nie für möglich gehalten. Und so ließ ich den Abend gemütlich bei bestem Wetter in der romantischen Stadt Boppard ausklingen.

3 Antworten auf „Tag 12: Ich bin verliebt“

  1. Hallo meine Liebe Anna. Wieder mal ganz toll geschrieben. Sogar mit Spannung im Wald. Es fühlt sich wirklich so an, als wäre man mittendrin. Toll siehst du aus, auf dem Foto. Glücklich und zufrieden. Du machst deinen Weg. Bis dann und pass auf dich auf. Freue mich auf die nächsten Erzählungen von dir. Lg Tantchen

  2. Guten Morgen Anna, ich sitze mit Kaffee im Garten und lese Deinen Bericht. Es ist einfach schön, was Du erlebst und welche unterschiedlichen Menschen Du kennenlernst und wie viel Freiheit von allen Verpflichtungen dieser Jakobsweg Dir gibt.
    Ich wünsche Dir eine weitere blasenfreie Wanderung.
    Herzliche Grüße

  3. Hallo Anna,
    Ich bin durch deinen What’s App Status auf deine Reise aufmerksam geworden. Ich wollte dir sagen, dass deine Beiträge wundervoll erfrischend geschrieben sind, ich lese Sie sehr gerne und finde es spannend was du alles erlebst. Beeindruckend was für Kilometer du zu Fuß zurücklegst. Ich drücke dir die Daumen, dass die Blasen bald verschwinden. Alles Gute für deine weitere Reise 🙂

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