Gegen 8.00 Uhr morgens war ich ausgeschlafen und hörte von meinem Zelt aus, dass meine Nachbarn schon aktiv waren. Irgendwie fand ich es schön jemanden in der Nähe zu haben. Es gab mir ein heimisches und gemütliches Gefühl und so kostete ich dies aus und mummelte mich nochmal für eine Viertelstunde in meinem warmen kuscheligen Schlafsack ein. Langsam wurden auch mein Bauch und Darm wach und so stand ich gemächlich auf. Eine Sanitäranlage gab es bedauerlicherweise auf dem Platz nicht, somit erkundete ich den Stellplatz beim Zähneputzen etwas genauer und hielt Ausschau nach einem schönen und ruhigen Plätzchen, wo Mutter Natur mich empfangen könnte. Glücklicherweise fand sich ein nettes Plätzchen. ?
So schnell wie ich gestern mein Zelt aufgebaut hatte, so schnell war es auch wieder verpackt. Schlafsack, Isomatte und Klamotten hatten auch wieder ihren Platz im Rucksack gefunden. Heute kamen noch die dicken Wanderschuhe hinzu. Denn nach dem gestrigen Blasenvorfall wollte ich es nicht riskieren bei zu erwartenden 36° wieder Stinkbomben zu produzieren. Daher war der Plan, 13 Kilometer auf Badeschluppen zu laufen, damit die Blasen nun an der Luft weiter trocknen und verheilen konnten. Ich war gespannt, ob das klappen sollte.
Bevor ich mich aber auf den Weg machte, verabschiedete ich mich noch von meinen Nachbarn. Wir tauschten uns noch kurz über unsere Heimat und unserern weiteren Pläne aus und verabschiedeten uns schlußendlich mit viel niederrheinischer Herzlichkeit von einander.
Nun ging es endlich los. Das Laufen auf den Badelatschen gestaltete sich, anders als gedacht, recht angenehm. Ich musste jedes mal laut lachten als ich hinab auf meine Füße schaute. Jetzt war es vollbracht. Mit Pilli und den Latschen ähnelte ich nun vollkommen einem Pilger vor hundert Jahren. Die Transformation war vollendet. ?
Die Landschaft von Ober-Hilbersheim bis nach Wörrstadt war sehr flach und geprägt von vielen Weinrebenfelder. Ich hatte Glück, dass es kaum Höhenunterschiede gab. Das machte die Wanderung zu einem gemütlichen und langen Spaziergang. Allerdings hatte dies auch einen Nachteil. Denn weit und breit gab es kaum Bäume oder Büsche die Schatten spendeten. Die Sonne brannte und im halbstündigen Rhythmus cremte ich daher meine zartweiße Haut stets ein.
In Wörrstadt angekommen machte ich es mir bequem auf einer Bank und wartete dort so lange bis ich zu Sebastian, dem nächsten Couchsurfing Abenteuer, gehen konnte. Sebastian war mit seinem Sohn ins Schwimmbad gefahren. Das war die beste Entscheidung, die sie an solch einem Tag machen konnten. Sie hatten mich gefragt, ob ich nicht auch eine Abkühlung vertragen könnte, und hätte durchaus dazustoßen können. Doch mit den Blasen war ich mir nicht ganz so sicher und zudem hatte ich leider auch kein Badeoutfit dabei. So musste ich leider absagen. Ich wartete auf die Beiden, hatte aber genügend zu erledigen. Zunächst befreite ich mich von dem ganzen Staub und Dreck, der sich während der Wanderschaft an mich geheftet hatte. Ich sah aus wie ein kleines Ferkel. Meine Blasen wollten ebenfalls nochmals versorgt und verarztet werden. Danach telefonierte ich nach und nach mir meiner Familie, die mich über die neusten Vorkommnisse informierten. Da auch der ein oder andere Videoanruf dabei war, wurde die gesamte Straße unterhalten. Einfach herrlich.
Schlussendlich machte ich es mir auf der Bank bequem und organisierte weitere Unterkünfte. Einige Passanten schauten etwas irritiert. Sie mussten bestimmt denken, dass ich ein Obdachloser sei. Eine tatsächlich spannende Erfahrung. Dann plötzlich kamen zwei Fahrräder an mir vorbei und blieben stehen. Sebastian und sein kleiner Sohn Toni standen direkt neben mir. Was für ein Zufall. Sie hatte mich erkannt und sammelten mich direkt mit ein.
Als wir Sebastians Wohnung erreichten und betraten, kam ich aus dem staunen nicht mehr heraus. Die Wohnung war der Hammer. Sehr modern, stilvoll und gemütlich waren die Räume eingerichtet. Toni ist wirklich ein kleiner, süßer und aufgweckter Engel. Er zeigte mir direkt meinen Schlafplatz und erklärte mir alles über den Weinanbau und die Ernte. Denn, was ich nicht wusste, Sebastians Familie produziert selber Wein. Hin und wieder packen auch Toni und Sebastian an und helfen mit. Wirklich toll.
Nachdem ich mich kurz frisch gemacht hatte, zeigte Toni mir voller Stolz die Fotoalben von seinem letzten Tracking-Urlaub, zusammen mit seinem Papa. Es war total interessant und unheimlich schön den Geschichten zuzuhören, die die beiden zu erzählen hatten.
Beim Essen erzählten und lernten wir uns weiter kennen. Sebastian hatte ein grandiose Menü gezaubert, wozu es natürlich den eigen Wein gab. Der kühle fruchtige Wein auf der Zunge schmeckte einfach unheimlich gut. Am liebsten hätte ich mir für die Wanderung ein paar Flaschen mitgenommen, doch das hole ich direkt nach, wenn ich wieder in Aachen bin. ?
Nach dem Essen machten wir es uns auf dem Balkon gemütlich. Sebastians Bruder, Daniel, kam auf ein Besuch vorbei uns gesellte sich mit in die Runde. Wir lachten, tranken Wein und es war einfach wunderschön und es hätte ewig so weitergehen können. Doch als die Sonnen verschwand und es nun bereits dunkel war, war es auch Zeit für mich ins Bett zu gehen. Ein weiterer heißer Tag sollte am nächsten Morgen vor mir liegen.
Kein besseres Lied hätte zu diesem himmelblauen Tag passen können. ?
Unter nachfolgendem Link ist der super leckere Wein (Souvignier Gris) zu finden, den ich probieren durfte. Einfach ein Gedicht.
“…die Transformation zu einem Pilger von vor 100 Jahren…” erstaunlich, wie schnell eine Besinnung auf das Wesentliche ( hier schmerzfreie Füße) erfolgen kann und welche Bedeutung die Begegnungen mit “fremden” Menschen bekommen.
Weiterhin eine gute Pilgerreise.