So wie ich den gestrigen Tag mit einem üppigen Essen beendete, so starte ich nun auch wieder in den heutigen Tag. Das Tablett war randvoll mit Leckereien und im Gegensatz zu gestern blieb ich heute in der Kantine. Ich hatte keine Lust auf kleine, summende, gelbgestreifte Gesellschaft, sondern wollte in Ruhe ganz entspannt meine Milch, Kaffee, Kakao, Joghurt, Obst, Brötchen, Müsli, Knekebrot und Gemüse genießen. Somit war der Weg für eine zweite Runde auch nicht so weit ?.
Wohlgenährt schnallte ich meinen Rucksack auf den Rücken und machte mich auf zur Rezeption. Nachdem alle Formalitäten geklärt waren, begab ich mich nochmals in die Kirche. Außer mir war keine Menschenseele dort. Das machte es zu einem ganz besonderen Moment. Den ganzen Morgen musste ich bereits an die kleine Hundedame meines Vaters und seiner Freundin denken. Vor ein paar Tagen wurde festgestellt, dass Emma hinten in der Batze ein Krebsgeschwür sitzen hat. Heute steht die Operation an und es ist unklar, ob der Krebs bösartig ist. Ich ging zu dem Platz, an dem ich gestern die beiden Kerzen angezündet hatte. Ich nahm eine Kerze aus der Box, schmiss eine Spende ein und zündete die Kerze an. Ich verweilte einen Moment dort, um meinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, dass Emma die Operation gut übersteht und wir sie noch lange Jahre bei uns haben dürfen.
Kurz bevor der Marsch losgehen sollte, schnürte ich mir meine Schuhe etwas strammer. Dabei bemerkte ich, dass irgendetwas anders war bzw. fehlte. Es zuckte plötzlich durch meinen ganzen Körper, denn mir wurde bewusst, dass ich Pilli ganz vergessen hatte. Ohne ihn konnte es nicht losgehen. Ich spurtete zurück zur Rezeption und erklärte der Dame aufgeregt, dass ich unbedingt nochmal aufs Zimmer müsste. Ohne lange zu zögern, gab sie mir den Schlüssel und nach ein paar Minuten hatte ich Pilli wieder. Was für ein Glück. Ich hatte den Knüppel wirklich lieb gewonnen und war mir in vielen Lagen schon ein guter und teuer Helfer.
An diesem Morgen machte sich ein wohlig warmes Gefühl breit, als ich die ersten Schritte ging. Keine Ahnung warum. Es war einfach alles perfekt. Das Wetter war grandios und der Ausblick war ein Traum. Ich genoss jede einzelne Sekunde. Ich liebte es.
Die gesamte Wanderstrecke war von vielen kleinen Ereignissen geprägt. Irgendwann schaute ich ganz unverhofft nach rechts und sah eine Schnecke am Baum kleben. Einfach genial. Beim genaueren Hinsehen auf den Tampelpfad gestaltete sich dieser zur Autobahn für eine Ameisenkolonie. Faszinierend wie geordnet und gesittet die kleine Autobahn geregelt war. Bei einem kleinen Zwischenstopp im Supermarkt und anschließender Mittagspause, gesellte sich dann auch noch ein kleiner Marienkäfer dazu. Eine Portion Glück, immer gerne ?
Bei einer weiteren kleinen Mittagspause erblickte ich einen kleinen alten Brunnen. Da es heute wieder so heiß war, entschied ich mich, ohne lange nachzudenken, für eine Abkühlung mit Hilfe meiner Trinkflasche. Tat das gut. Um den Rucksack nicht auch komplett einzunässen, setzte ich mich für eine Weile auf die daneben stehende Bank. Nicht weit davon entfernt stand ein kleiner Traktor mit Anhänger. Nach rund 5 Minuten kam der Besitzer dieser kleinen Klappemühle zurück. Eberhard hieß der kleine in die Jahre gekommender Mann, der von seinen Freunden auch Epsi genannt wurde. Irgendwie kamen wir auf die Geschichte des kleinen Dorfes die Ebsi erzählte. Auch über andere Themen unterhielten wir uns mit voller Freude rund eine halbe Stunde. Mir fiel auf, dass ich an einigen Stellen Probleme hatte den Dialekt zu verstehen. Ohje, wie sollte das wohl noch in der Schweiz werden, wenn ich hier schon Schwierigkeiten hatte, dachte ich ?
Kurz vor meinem Ziel kam ich noch mit zwei Radfahrerinnen ins Gespräch, die auf einer Bank ihren Zwischenstopp genossen. Sie erzählten mir, dass sie entlang der Jagst eine Radtour fahren und eben noch eine erfrischende Abkühlung in dem Fluss genommen hatten. Ich hatte bereits gesehen, dass einige Familien sich in dem Fluss amüsierten. Doch ich fragte mich, wo wohl der beste Platz für ein Schwimmabenteuer wäre. Daher fragte ich beide direkt nach ihrer Erfahrung.
Schnellen Schrittes ging ich zu meiner heutigen Unterkunft in Klepsau, um meine Sachen geschwind abzulegen und ein Bad in der Jagst nehmen zu können, bevor das Wetter umschlagen sollte. Denn Regen und Gewitter waren am späten Nachmittag gemeldet. Als ich das Haus mit den Ferienwohnungen erreichte öffnete mir eine nette ältere Dame. Sie zeigte mir mein Zimmer im kühlen Keller, mit einem frisch renoviertem Bad. Wie schnuckelig. Während meine Vermieterin mir alles zeigte, fragte ich sie beiläufig, ob es wirklich möglich ist in der Jagst zu baden. “Natürlich”, sagte sie, und fragte mich, ob ich noch eine Runde schwimmen gehen würde. “Wenn das so ist, würde ich jetzt noch eine Runde schwimmen gehen”, antworte ich. Kurz hielt sie inne und fragte dann, “Wäre es in Ordnung, wenn ich sie begleiten würde?”. Ich freute mich sehr und sagte ihr “Sehr gerne.” Innerhalb von zwanzig Minuten waren wir beide schwimmfertig und zogen los. Einen Bikini oder Badeanzu hatte ich immer noch nicht, aber bei einem Bad im Fluss ist es bestimmt kein Problem mit Unterwäsche hinein zu gehen, dachte ich. In einem Schwimmbad hätte ich mich das bestimmt nicht getraut. ? Damit es schneller ging, fuhren wir mit den Fahrrädern. War das mal wieder schön sich anderes fortzubewegen.
Nach kurzer Zeit erreichten wir den besten Platz zum schwimmen. Ohne Edeltraud hätte ich dieses Plätzchen nie gefunden. Wir schwommen zusammen ein paar Bahnen und unterhielten uns, wie zwei Rentnerinnen morgens im Schwimmbad. Einfach herrlich. Dieses Erlebnis machte den Tag vollkommen. Auf dem Heimweg erzählte Edeltraud mir, dass sie nie alleine in der Jagst schwimmen geht, sondern immer nur mit ihrem Mann. Wenn sie ihm nun heute Abend erzählt, dass sie in der Jagst schwimmen war wird er es bestimmt kaum glauben. ?
Das nachfolgende Lied beschreibt den heutigen Tag perfekt.
Anna, Dein Jakobsweg gestaltet sich generationenübergreifend.
Deine Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen machen Dich und sie auch froh/fröhlich.
Ich wünsche Dir weitere gute Begegnungen.