Tag 65: Einfach mal Barfuß

Gegen fünf Uhr wurde ich das erste Mal von einem leckeren Duft frischgebackener Brötchen geweckt. Da ich noch rund zwei Stunden schlafen konnte, drehte ich mich nochmal auf die Seite und versuchte weiter zu schlafen. Der Duft der Brötchen war so intensiv, dass ich sogar davon träumte.? Gegen sieben Uhr stand ich schlussendlich auf und grübelte die ganze Zeit, worher der leckere Duft her kam. Eine Bäckerei gab es hier auf dem Land nicht. Das hättw ich gewusst. Als ich nach unten in die Küche meiner Herbergsmutter ging, um mich mit einem leckeren Frühstück zu stärken, lüftete sich das Geheimnis des wohltuenden Duftes. Meine Herbergsmutter war bereits seit vier Uhr auf den Beinen und hatte schon vierzig schweizer Zopfbrote und mehrere Zopfbrötchen gebacken. Ein Lieferant aus dem nächstgelegenen größeren Dorf kommt sie jeden Samstag gegen 10 Uhr abholen und verkauft sie auf dem Markt in ihrem Namen. So etwas gibt es nur noch auf dem Dorf bzw der Schweiz. Einfach herrlich, dass alte Handwerkskunst noch so geschätzt wird. Drei der frischen Zopfbrötchen lagen extra für mich im Brotkorb auf dem Küchentisch, neben süßen und herzhaften Brotbelägen bereit. Ich freute mich tierisch über die frischen Brötchen und musste zunächst nochmal daran reichen. Die Brötchen schmeckten einfach göttlich. Eins bewahrte ich mir extra für meine Wanderung auf, sodass ich ein zweites Mal in den Genuss kommen konnte.

Nach dem sehr leckeren und ausgiebigen Frühstück, durfte ich mir noch die Schweine im Stall anschauen. Eine Sau hatte sogar vor kurzem Junge bekommen. Die kleinen Steckdosennasen waren so putzig, dass ich am liebsten eins mitgenommen hätte. Nach dem Besuch bei den Schweinen gab es noch eine letzte Spielrunde mit Jack. Nachdem wir das letzte Mal genknuddelt hatten, wurde es Zeit aufzubrechen und von meinen Herbergseltern Abschied zu nehmen. Ich versprach den Beiden ihnen eine Karte aus Santiago zu schicken und lud sie ebenfalls zu uns nach Aachen ein. Die Beiden waren so herzlich und fürsorglich zu mir, dass ich mich riesig freuen würde, sie wieder zu treffen. Auch wenn es noch etwas dauert. ?

Bis St. Antoni war es heute nicht weit. Lediglich 14 Kilometer lagen vor mir. Das war ein gemütlicher Spaziergang, jedoch mit dem ein oder anderen kleinen Regenschauer inklusive. Mit der passenden Regenbekleidung ist das kein Problem, doch unangenehm wird es nur, wenn es Berg auf geht, man von außen durch den Regen und von innen durch das eigene transperieren feucht wird. Dies ist weniger angenehm, aber verkraftbar. Daher bietet es sich an, bei solchen Etappen gerne wie eine Schildkröte zu laufen. ?

Apropo wie eine Schildkröte laufen; Auf halber Strecke sah ich ein Schild, welches mich auf den Barfußweg hinwieß. Das musste ich mir etwas genauer ansehen. Zwar wurde man nicht aufgefordert den Weg Barfuß zu bestreiten, jedoch fand ich dies mal eine gelungene Abwechslung. Es dauerte nicht lange und ich hatte meine Schuhe und Socken ausgezogen. Der Boden unter meinen Füßen war nass und sandig. Ein wirklich schönes Gefühl, bei dem man den Weg nochmal ganz anders erlebt. Doch als es dann in ein Waldstück hinein ging, wurde es etwas kritisch. Zwar hab ich eine sehr dicke Elefantenhaut unter meinen Füßen doch spitzen Steine, Nüsse und diverse andere Gegenstände machten den Trip etwas schmerzlich. Obwohl es teilweise sehr schwer war, wurde ich dadurch mehr für meine Umwelt sensibilisiert. Einfach laufen war nicht möglich, man musste genau hinsehen wo man hin tritt. Als ich jedoch wieder die Straße erreichte, setzte ich mich kurz hin und zog wieder meine Schuhe an. Weiter Barfuß laufen konnte und wollte ich nicht mehr, wenngleich es ein einmaliges Erlebnis war. ?

Die Herberge in der ich heute unter kam war etwas ganz Besonderes. Sie lag ebenfalls auf einem Bauernhof. Allerdings liegt der Bauernhof mit dem Badezimmer auf der rechten und das Häuschen mit dem Schlaf- und Gemeinschaftssaal auf der linken Straßenseite. Also musste ich, wenn ich auf Toilette oder duschen wollte, stets über die Straße laufen, egal bei welchem Wetter und Uhrzeit. Wie geil war das denn ? Die Mitarbeiterin erzählte mir, dass einige Pilgerer diese Art der Aufteilung weniger charmant finden und dies bereits moniert hatten. Ich hingegen fand es sehr speziell und war einfach nur froh ein Dach über meinem Kopf zu haben. Das gehört meiner Meinung nach zum Pilgern mit dazu. Offen für Neues sein und stets das Beste daraus machen.

Als ich mit dem Duschen fertig war, begrüßte mich auf halber Strecke zu meinem Zimmer die flauschige Bauernkatze. Meine Güte war die kleine süß. Ich kraulte die kleine Katze ein paar Minuten lang und ging dann weiter. Als ich gerade die Treppen zu meinem Zimmer hoch laufen wollte, sah ich, dass die Kleine mir gefolgt war und mit auf mein Zimmer kommen wollte. Ich konnte nicht mehr vor Lachen. So setzte ich mich noch eine Weile draußen auf die Bank und spielte mit der Kleinen.

Bei meinem abendlichen Snack durchstöberte ich die kleine Bibliothek im Gemeinschaftssaal. Dort fand ich eine Sammlung der katholischen Zeitung “Der Sonntag”. Ich schnappte mir ein Exemplar aus dem Jahre 1941 und blätterte es durch. Neben Artikeln zu aktuellen Vorkommnissen gab es sogar jeweils eine Seite mit den neusten Rezepten für die Hausfrau und Heiratsgesuchen. Was in den Anzeigen drin stand war einfach nur zum tot lachen. Interessant wie sich die Zeit seither geändert hat und was früher die Gesellschaft so bewegte.

Am Abend machte ich dann noch einen kleinen Abstecher zum SPAR-Markt. Obwohl dieser geschlossen war, gab es freizugängliches WLAN, welches ich auf dem Parkplatz im Dunkeln kurz nutze. So blieb es nicht aus, dass ich ein kleines live Abendprogramm mitbekam. Direkt über dem Supermarkt hatte ein Teenager seine Mutter auf dem Balkon ausgesperrt. Wie wild klopfte und schrie die Mutter vor der Türe und bat den jungen die Tür wieder aufzumachen. Doch es half nichts. Als ich mich auf dem Weg zu meiner Hütte machte, um nun schlafen zu gehen, war die Mutter immer doch ausgesperrt und kam nicht rein. Ohje, ohje. Das es so etwas in der gut situierten Schweiz gibt hätte ich nicht gedacht. ?

Wunderschönes Lied von Moby zum Wandern ?

2 Antworten auf „Tag 65: Einfach mal Barfuß“

  1. Täglich neue Erlebnisse und Dinge, die zum Erproben anregen (Barfußpfad) und Gegebenheiten, die zu akzeptieren sind. (Bad und Schlafraum durch eine Straße getrennt).
    Ich freue mich auf weitere Pilgerberichte.

  2. Als großer Katzenfreund vermisse ich hier ein Foto der Schwyizer Mietze … ?? … Bitte zukünftig immer posten ???

    Und falls dein Barfußweg keine einmalige Geschichte bleiben soll, dann komm zu uns nach Roth. Am Brombachsee gibt’s auch einen schönen …

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