Tag 69: Gedankenblase

Am gestrigen Abend, kurz vor dem einschlafen, freute ich mich schon auf eine schöne leckere Tasse Instand-Kaffe am Morgen. Da es heute nach Lausanne ging und die Strecke etwas länger war (knapp über 30 Kilometer), musste ich unbedingt wach, fit und gestärkt sein. Doch irgendwie war an dem Morgen die Lust, mir den Kaffe zu machen, veflogen. Ich hatte keine Muße mich verständlich zu machen oder sonst irgendwie in eine Konversation zu treten. So schob ich mir eben schnell das letzte Stück Brot mit Marmeladen in den Mund und war startklar. Kurz bevor ich jedoch los ging, traf ich noch auf den Sohn von Mario, der heute Geburtstag hatte. Seine Schwester hat ebenfalls am selben Tag Geburtstag, und nein es ist kein Zwilling. Die Beiden haben einen Altersunterschied von genau vier Jahren. Das fand es wirklich einmalig und ganz besonders, wobei dies seine Vor- und Nachteile hat. Nun ja. Ich hatte eine kleine Nachricht auf Französisch, mit Hilfe eines Übersetzungstools, vorbereitet. Ich hatte angenommen, dass die zwei das Haus schon verlassen hatten, doch umso schöner, dass dem nicht so war. Somit konnte ich noch die kleine Nachricht persönlich überreichen. Marios Sohn freute sich sehr, dass sah man ihm an. Außer dieser Nachricht erinnerte leider nichts daran, dass heute ihr Geburtstag war. Irgendwie schade und gleichzeitig traurig. Gerne hätte ich den beiden einen kleinen Kuchen geschenkt. Doch als ich die Eltern gestern gefragt hatte, hatten beide abgewunken. Naja, vielleicht wurde später richtig gefeiert, oder am Wochenende. Ich wünschte es mir für die Zwei. ?

Ohne Kaffe ging es aus dem Haus. Mhh, das war mir nicht recht. Ich suchte über Google Maps nach einer Bäckerei in der Näher. Schnell hatte ich eine ausfindig gemacht für die ich einen rund zehn minütigen Umweg in Kauf nehmen musste. Aber das war mir egal, ich besuchte meinen Kaffe. Auf dem Weg dorthin, kam ich an einem Kiosk vorbei, der mir gestern schon aufgefallen war. Mit einem riesigen Schild wurde ich darauf hingewiesen, dass dort Coffe-to-go erhältlich ist. Perfekt. Ich freute mich riesig, denn so musste ich doch nicht den Umweg zur Bäckerei nehmen. Ich zog meine Maske auf und bestellte in meinen gebrochenen französisch einen Kaffe. Der junge Mann fragte mich, während der Kaffe durchlief, ob ich auf dem Jakobsweg unterwegs sei. Oui, antwortete ich ihm, was auch schon alles war. Mehr konnte ich ohne Kaffe nicht antworten ? Daraufhin sagte er mir, dass er mir den Kaffe schenken würde und gab mir zusäztlich noch einen Schokoriegel dazu. Ich machte große Augen und konnte mein Glück kaum fassen. Großartig, ein gutes Zeichen für einen tollen Tag? Ich war gespannt was mich heute noch so erwarten würde.

Als ich Moudon verließ war das Wetter sehr bescheiden, aber immerhin trocken. Das war schon viel Wert. Nach rund fünf Kilometern traf ich entlang des matschigen Wanderweges auf ein Ehepaar. Ich sprach sie auf Französisch an und fragte, ob sie auch auf dem Jakobsweg seien. Als sie nicht wussten was sie sagen sollten, fragte ich erneut auf Deutsch, was wesentlich besser war. Jippi, endlich wieder deutsch reden. ? Das Pärchen stammte aus der deutschsprachigen Schweiz und beide waren unheimlich nett. Wir unterhielten uns ein paar Minuten und dann rauschte ich auch schon an den beiden vorbei, weiter in Richtung Lausanne.

Irgendwann auf dem Weg fiel ich wieder tief in meine Gedankenblase und ging drei Jahre zurück in das Jahr 2017. Ich fing an intensiv über einiges nachzudenken. In dem Jahr war so viel passiert, wie noch nie zuvor. Ich hatte mein gesamtes Leben umgekrempelt und hatte mich auch selbst verändert. Alles ging damals so verdammt schnell und die Zeit raste an einem nur so vorbei, sodass einiges auf der Strecke blieb. All das was passiert war, wäre an dieser Stelle zu viel um zu erzählen. Doch nun, hier auf dem Jakobsweg, hatte ich jetzt endlich die Gelegenheit mich auf diese Zeit zu besinnen. Es tat unheimlich gut, auch wenn dabei alle Emotionen vertreten waren. Ich liebte es in diese Momente zu fallen. Bis zum Beginn meiner Reise hatte ich schon ewig nicht mehr solche Momente erlebt. Eins steht aufjedenfall fest, auch wenn die Jakobseise irgendwann vorbei ist, werde ich mir diese Momente im Alltag bei regelmäßigen Spaziergängen beibehalten.

Dadurch, dass ich komplett in meinen Gedanken versunken war, kam es das erste Mal dazu, dass ich mich verlaufen hatte. ? An einer Kreuzung hatte ich die falsche Abzweigung genommen und lief im Kreis. Doch das wurde mir erst allmählich bewusst, als ich das schweizer Wanderpärchen wieder vor mir sah. “Mhh, dass konnte doch nicht sein, dass die Beiden wieder vor mir sind. So langsam konnte ich und so schnell konnten sie doch nicht gelaufen sein und wenn doch, wie haben die das gemacht?”, schoss es mir durch den Kopf. Nach ein paar Metern kamen wir geneinsam an eine prägnante Abzweigung, die ich schon einmal passiert hatte. Dort wurde mir dann wirklich bewusst, dass ich mich im Kreis gedreht hatte. Und täglich grüßt das Murmeltier ?

Nachdem ich wieder auf dem richtigen Weg war, kam die Sonne raus. Ich war so glücklich, dass ich nochmal ein paar sommerliche Temperaturen erleben durfte. Mein Gott, war das schön. Ich bekam das lachen nicht mehr aus meinem Gesicht. Das fiel auch einer älteren Dame auf, die gerade mit ihrem Hund unterwegs war. Die Dame kam gebürtig aus Deutschland, lebte jedoch bereits seit 60zig Jahren in der französischsprachigen Schweiz. Die Dame war richtig erfrischend. Jedes Mal wenn sie anfing zu erzählen sagte sie, “Weißt du Schätzchen… ” Ich fand es so herrlich, dass wir beide richtig Spaß auf der Straße bekamen und sogar ein kleines Stück bis zur nächsten Kreuzung zusammen liefen. Solche Frauen braucht die Welt, die sich nicht zu ernst nehmen und das Leben genießen. Irgendwie erinnerte die Dame mich an meine alte Klassenlehrerin. ☺

Endlich erreichte ich Lausanne. Ich erreichte eine kleine Kappele, die kurz vor der Stadt lag. Von dort aus hatte ich einen fabelhaften Ausblick auf die Stadt und auf den Mont Blanc. Allerdings wusste ich genau, welcher es von den zahlreichen Bergen war ? Ich ging hinunter in die Stadt und bummelte ein wenig umher. Dabei fiel mir ein, dass Laurent (mein netter Couchsurfing-Host von vor zwei Tagen) hier an der Uni seinen Doktor macht. Ohne ihm zu schreiben kam später, als ich bereits in der sehr modernen und luxuriösen Jugendherberge angekommen war, eine Nachricht von Laurent. Das nennen ich mal Gedankenübertragung. Laurent fragte, wo ich denn heute angekommen sei. Ich antwortete ihm, dass ich dort angekommen sei, wo er arbeitet. ? Ach schade, schrieb Laurent zurück, hätte er es eher gewusst, dann wäre er etwas länger geblieben und wir hätten noch zusammen ein Kaffe trinken können. Aber Morgen früh war ich ja auch noch in Lausanne und witzelte, dass wir Morgen früh einen Kaffe zusammen an der Uni trinken könnten. Prompt kam die positive Rückmeldung von Laurent, womit ich eigentlich nicht gerechnet hatte. Super, da war morgen früh schon mal eine Tasse Kaffe gesichert.

Schon bald darauf ging ich ins Bett. Durch den kleinen Umweg, wodurch noch ein paar Kilometer hinzukamen, war ich nun richtig geschafft und müde. Zum Glück hatte ich ein ganzes Zimmer für mich alleine und konnte schon früh das Licht ausmachen. Gute Nacht ?

Ohne Worte ?

Eine Antwort auf „Tag 69: Gedankenblase“

  1. Was ist die Intension sich auf den Jakobsweg zu machen?
    Ich glaube, sie ist bei jedem Pilger verschieden, jedoch bei den kilometerlangen Wegen, die im eigenen Tempo und überwiegend alleine zurückgelegt werden, kommt niemand umhin, sich seinen “tief versteckten” Gedanken zu stellen. Sie holen einen einfach ein.
    Mein Wunsch für Dich: Möge Dein Weg Dir gute, klare Gedanken geben.

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