Heute ging es endlich wieder weiter. Obwohl ich die freien Tage in Nyon sehr genossen habe, war ich nun froh, dass es wieder weiterging. Gegen halb sieben stand ich auf, packte geschwind meine Tasche und düste herunter in den Gemeinschaftssaal, um ein letztes Mal das gute Frühstück, abermals in mehreren Runden, zu genießen. Im Gegensatz zu den vergangen Tagen war heute morgen zu so früher Stunde schon Einiges los. Drei Gruppen waren bereits anwesend und frühstückten und es kamen immer mehr hinzu. Wo kamen die alle her, fragte ich mich, waren die alle noch gestern angereist? Dies fragte sich auch meine neue kleine Ersatzfamilie. Wir trafen uns in der Gemeinschaftsküche während ich meine überschaubare Verpflegung für heute zusammenkramte. Es war die letzte Zusammenkunft bevor ich ging. Es war so schön und irgendwie fiel es mir schwer Auf Wiedersehen zu sagen. Doch ich werde wiederkommen. Vielleicht auf meinem Rückweg? Wer weiß? Wer weiß, wo mich die Zeit wohl hin tragen wird? ? Ich bin gespannt und lass es auf mich zukommen.
Nun ging die Reise weiter. Als ich die ersten Schritte ging, hatte ich das Gefühl, dass der Herbst übersprungen wurde und der Winter bereits eingekehrt war. Die maximal Temperstur heute betrug 8° und leichter Sprühregen wurde mir hin und wieder mit einer etwas stärkeren Briesen ins Gesicht gefegt. Nur gut, dass ich mir in Nyon ein Tag zuvor noch Handschuhe geholt hatte. Die waren jetzt Gold wert.
Trotz des schlechten Wetters, genoss ich die Landschaft und den ausgiebigen Spaziergang ich Richtung Genf. Die neue Musik versüßte mir sogar den Spaziergang und ich hatte beste Laune. Bei dem Lied von Harry Styles “Sign of Time”, welches ich im Hostel aufgeschnappt und heruntergeladen hatte, kam ich nochmal richtig ins Nachdenken. Auch wenn es ungewöhnlich und trist erscheint, dachte ich über das Ableben nach. Es ist ein unbequemes und trauriges Thema. Doch auch das sollte nun seinen Platz auf meiner Reise erhalten. Es gehört zum Leben mit dazu und ich fragte mich, wann wohl meine Zeit kommen würde? Ich hoffe natürlich, dass ich noch viele viele Jahre vor mir habe. Doch auch wenn nicht, wäre ich an dieser Stelle nun sehr zufrieden und überaus glücklich, ohne Furcht. Denn ich durfte meinen Traum nicht nur träumen sondern ihn auch leben. Dafür bin ich unendlich dankbar. Dankbar solch einzigartige Landschaften, Menschen und Ereignisse erleben zu dürfen und dabei stets meine wundervolle Familie und Freunde bei mir zu wissen und mich bester Gesundheit zu erfreuen. Doch nun gut mit diesem kurzen Ausschnitt dieser Gedankenwelt und wieder hin zum süßen Leben. Auf das hoffentlich noch ganz viele Jahre kommen werden. Denn es gibt noch einige Wege des Jakobnetzes, welche ich unheimlich gerne gerne erkunden möchte. ? Toi, toi, toi.
Heute durfte ich wieder couchsurfen. Tobi, ein 44-jähriger selbstständiger Relocation Manager, der vor einiger Zeit sogar zwei Jahre in Deutschland studiert hatte, offerierte mir seine Couch für heute Nacht. Ich schrieb ihm auf halber Strecke, wann ich ungefähr anreisen würde und fragte, ob es in Ordnung sei. Da ich seitdem nichts von ihm gehört hatte, hatte ich vorsichtshalber eine Alternative herausgesucht, ein sehr preiswertes Hostel direkt in der City. Doch dann schrieb Tobi und bestätigte, dass alles in Ordnung sei. Perfekt.
Rund eineinhalb Stunden kam ich verfrüht in Genf an. Die Zeit nutzte ich und setzte mich mit einem schönen heißen McCafe-Kaffee in das Einkaufszentrum und wärmte mich auf. Ich war richtig durchgefrohren von dem nasskalten windigen Wetter und die kurze Pause von 10 Minuten, in der ich schnell etwas aß, führte dazu, dass mir noch etwas kälter wurde. Immer in Bewegung bleiben war die Devise, so bleibt man schön warm. Da es auch freies WLAN in dem Einkaufszentrum gab, vertrieb ich mir die übrige Zeit mit der Suche nach neuen Unterkünften und schaute mir die bevorstehenden Routen in Frankreich genauer an. Irgendwie war ich schon etwas aufgeregte, denn morgen passierte ich die nächste Grenze.
Tobi lebt zusammen mit seinem Bruder und einem Mitbewohner in einem Haus am Rande von Genf. Unmittelbar in der Nähe vom Flughafen. Als ich ankam begrüßte mich Tobi sehr freundlich und machte einen feschen Eindruck. Bevor wir uns jedoch näher unterhalten konnten, musste er noch mal geschwind zu seinem Vater rüber, der direkt nebenan mit seiner Lebensgefährtin wohnt. Derweil hüpfte ich unter die Dusche und machte mich frisch. Die warme Dusche war schon echt was Schönes. ? Nachdem alles erledigt war setzten wir uns gemütlich an den Tisch und quatschen über sein bisheriges Leben, seinen Job und meine Reise und aßen nebenbei sein selbstgemachtes Risotto von gestern. Wir lachten viel, da wir u. a. immer wieder zwischen Deutsch, Französisch und Englisch hin und her sprangen. Ich versuchte dadurch mein Französisch zu verbessern und Tobi sein Deutsch wieder aufzufrischen. Doch irgendwann später am Abend wurde es kurios. Tobi rückte immer wieder etwas näher mit dem Stuhl an mich heran. Ich rückte dafür immer ein Stück weiter Weg. Wenn es so weiter gehen würde, würden wir es schaffen den Tisch einmal zu umkreisen, dachte ich. Dann fing er an beiläufig etwas touchy zu werden. Er versuchte über meine Hand zu streichen, was ich allerdings wehement abblockte und ihm auch klar zu verstehen gab, dass ich kein Bock darauf habe. Ist ja nicht so, dass ich lang und breit von meiner Ehe erzählt hätte. Doch das störte ihn wohl kaum. Irgendwann kam Jassin, sein Mitbewohner, von einem Event. Gott sei Dank. Das hielt Tobi davon ab, weitere Touch-Versuche zu starten. Der Abend gestaltete sich dann wieder recht normal und wir lachten viel. Jassin machte mit seinen 25 Jahren einen verspielten Eindruck, was die Unterhaltungen deutlich belebte. Ich fand seine Art und Weise einfach herrlich. Doch der Hammer kommt noch. Als wir uns gegen halb eins alle ins Bett verasbschideten, erhielt ich kurze Zeit später eine WhatsApp-Nachricht von Tobi, in der stand, dass er mich doch so charmant findet und sich freuen würde, wenn ich ihm Gesellschaft leisten würde. Ich fiel vom Glauben ab und antwortete prompt und bestimmt zurück, dass ich es bevorzuge alleine zu schlafen. Unglaublich. Die erste halbe Stunde blieb ich noch wach. Doch dann schlief ich seelenruhig ein und tankte neue Energie für meinen morgigen Grenzübergang.
Das nachfolgende Lied lief an dem Tag einige Male. ?
Auch solche Erfahrungen wird man machen, aber das wirst Du souverän bewältigen.
Weiterhin nur positive Erlebnisse!
Hi Anna,
ja, die Gedanken an den Tod – der von lieben Menschen und noch mehr an den eigenen – werden in unserer schnelllebigen und auf des Diesseits fokussierten westlichen Gesellschaft viel zu wenig adressiert und ausgesprochen. Oder im Alltag auch schnell weggeschoben und von anderen Aktualitäten überdeckt.
Ich finde es super, dass Du Dich ihnen stellst und jetzt auch die “Wandermuße” hast.
Dein Statement “Doch auch wenn nicht, wäre ich an dieser Stelle nun sehr zufrieden und überaus glücklich, ohne Furcht. Denn ich durfte meinen Traum nicht nur träumen sondern ihn auch leben. Dafür bin ich unendlich dankbar.” sagt sehr viel über Dich und Deine Zufriedenheit aus. Bleib dabei!
LG, Gerhard